Politisch korrekt

Was darf man heute nicht sagen? Über wen darf man heute nicht negativ reden, auch wenn es Fakten sind?

Über wen durfte man früher nichts Negatives sagen, wen durfte man nicht kritisieren? Herrscher und herrschende Gruppen. Das konnte übel ausgehen – geht auch heute in vielen Ländern übel aus. Ich verrate nicht, welche das sind. Ich will keinen Ärger bekommen, möchte nicht, dass wir-magazin Leser wütend zu Hörern greifen, ihre unschuldige Tastatur traktieren.

Ich habe einen Witz gehört – den werde ich nicht erzählen! Könnte Ärger geben. Das könnte nicht nur wütende Hassmails hervorrufen, sondern mir auch die Existenzgrundlage nehmen, weil manche so lange herumhassen, bis der Arbeitgeber nachgeben muss, weil sonst die Firma boykottiert wird.

Ich weiß, dass manche Kulturen sonderbare Bräuche ausüben – psst, nichts darüber sagen – manche  könnten sich diskriminiert fühlen. Lieber nicht die Wahrheit sagen, man will ja keinen Ärger.

In einem Artikel auf „Zeit Online“ vom 17.6.2018 (ed.) beschreibt die Schriftstellerin Tina Uebel (Der große Verlust) das noch harmloseste Beispiel, dass sie über Hahnenkämpfe berichten wollte – der Passus wurde gestrichen, die Redaktion befürchtete „Leser-Shitstorm“.

Berühmt wurde das Gedicht von Gomringer (avenidas), in dem Frauen aus der Sicht des Mannes beschrieben werden. Dann gab es einen Aufschrei mancher Frauen oder solcher, die sich sensibel in Frauen hineinversetzt haben – es begann eine heftige Diskussion.

Das bedeutet, dass man Tatsachen nicht formulieren, seine Meinung nicht sagen darf, weil sich manche Menschen, die es betrifft oder auch nicht betrifft, diskriminiert fühlen – es muss sich nicht unbedingt um Minderheiten handeln, sondern das geht auch gefühlten Minderheiten so. Aber: Nur manche Minderheiten betrifft es. Meines Wissens darf man zwar keine Polen- und Türkenwitze erzählen, aber immer noch Ostfriesen-, Blondinen- und Kartoffelwitze (aber die sind ja die Mehrheit). Politiker darf man unfair kritisieren, obgleich sie nicht Mehrheit sind.

Über wen Witze gemacht werden dürfen, wer kritisiert werden darf, das bestimmt – ja wer eigentlich?

Wir sind zu eng in unsere Zeit verstrickt, sodass wir es noch nicht so genau erkennen können. Ein besonders Verdächtiger ist der ideologische Liberalismus. Der politische Liberalismus hat wesentlich dazu beigetragen, dass Menschenrechte durchgesetzt wurden, die Freiheit der Menschen, dass man lernt, Menschen als Menschen zu sehen und nicht als Vertreter von Rassen, Klassen, Geschlecht, Kultur, Religion. Der ideologische Liberalismus versucht diese Errungenschaften so weiterzuführen, dass alle in diese Richtung gezwängt werden: Alle müssen politisch korrekt denken – nicht, weil sie überzeugt sind, sondern weil man so denken muss. Damit werden Grundlagen des Liberalismus über den Haufen geworfen: Freiheit und Menschenwürde. Auf einmal werden wieder Rasse, Klasse, Geschlecht, Kultur betont – nur aus einer anderen Perspektive: Man darf nicht mehr negativ über ganz bestimmte Menschen reden, auch dann nichts als negativ Empfundenes äußern, wenn es stimmt. Eine nicht fest zu umreißende Gruppe bestimmt, was man sagen darf, wen man nicht kritisieren darf, über wen man/nicht Witze machen darf.

Das geht soweit, wie es sich angeblich in den USA abzeichnet, dass die Freiheit der Forschung eingeschränkt wird, weil man über manches nicht forschen darf, aber auch soweit, dass sich jedes Individuum gegen Kritik wehren kann: Wenn ich kritisiert werde, dann werde ich diskriminiert. Ich bin als ich eine Minderheit – mein eigener kleiner Herrscher, der Kritik an mich selbst oder an meine Gruppe unterbindet.

Darunter kann die Demokratie leiden. Die Basis der Demokratie ist die Freiheit, das zu äußern, was man meint – sei es noch so dämlich. Integriert sind in einer Demokratie diejenigen, mit denen man ganz normal umgeht, kritisierend und lobend. Angekommen in einer Demokratie sind diejenigen nicht, die besonders paternalistisch mit Herrscherallüren von manchen beschützt werden, die von der Diskussion und Kritik ausgeschlossen werden. Sie bleiben gerade durch diejenigen, die einen normalen Umgang mit ihnen verhindern, Exoten, nicht richtig dazu gehörig.

Es versteht sich von selbst, dass man grundsätzlich respektvoll miteinander umgeht, höflich, besonnen, dass man weder Mehrheiten noch Minderheiten diskriminiert, über sie lacht, sie erniedrigt. Schwer wird es dann, wenn andere bestimmen, was das konkret bedeutet und Offenheit und Kritik unterbunden werden, Fakten nicht geäußert werden dürfen, Realität umgedeutet wird. Dann wird politische Korrektheit zur Gefahr für die Demokratie.

Über Christen darf man übrigens Witze machen – sie kommen zum Teil von ihnen selbst. Ganz witzig finde ich diesen – über Witze kann man sich bekanntlich streiten: Ein Missionar ist in Afrika. Löwen kommen auf ihn zu. Voller Angst bittet er Gott: Befiehl den Löwen, sich wie Christen zu verhalten! Als er die Augen öffnete, beteten diese: Komm Herr Jesus, sei du unser Gast und segne, was du uns bescheret hast. (Übrigens: Das Gebet stammt nicht von mir – ich habe keine Urheberrechte dafür. Der*die Verfasser*in sind unbekannt: Tischgebetslied der Herrnhuter Brüdergemeine , London 1753? Entsprechendes gilt auch für den Witz: Der*die Autor*in, der*die sich als solche*r juristisch bewiesen ausweisen kann, wird im nächsten wir-magazin genannt werden. Vermute ich 😉.)