(1) Mit welch einer Geschwindigkeit
der Tod angeschossen kommt.
Wäre ich Spatz oder Maus
ich wäre nicht mehr ich – ich wäre Falke.
(2) Der Hirte sagt
Wir nennen es Glück gehabt.
Der Hirte, Jesus Christus, sagt: Ich war bei dir.
Wir nennen es glücklichen Zufall.
Der Hirte sagt: Ich war bei dir.
Wir nennen es gute Veranlagung.
Der Hirte sagt: Ich war bei dir.
Wir nennen es „Ich war gut“
Der Hirte sagt: Ich war bei dir.
Wir nennen es Einsamsein muss jeder lernen.
Der Hirte sagt: Ich bin bei dir.
Wir sagen: Ich sehe keinen Hirten.
Der Hirte sagt: Dann lass dir die Augen öffnen.
***
Ägypten-Impressionen
(3) Leben beschwingen
Sonne durchheizter Wüstensand,
dicht am blauen Lebensband.
Palmen am Ufer des Nils,
Wimpern des Windes.
Tod will Leben bezwingen,
doch er kann es nur beschwingen.
(4) Tobende Erde
Der Himmel ist –
wer weiß es, wo.
Überall tobt Erde –
der Sandsturmwind
fraß das Himmelsblau.
(5) Flimmernde Decke
Bleiern legt sich Sand über das Land.
Die Sonne brütet heiß,
eine flimmernde Decke erdrückt die Stadt.
Unter der Decke rumort es erschöpft.
6. Straßenmachtkonzerte
Der Muezzin ruft mit künstlicher Stimme über die Wüstenstadt.
Der Hahn kräht machtvoll vom Haushofdach.
Das Summen der Motoren ist der Grundton, Tag und Nacht,
durchbrochen von Hupkonzerten. Wer hupt, zeigt Macht.
Straßenmachtkonzerte.
7. Dschinn des Herzens
Stolz, leicht, hebt sich das Minarett
Aus den Hausmassen heraus,
mit Dämonenabwehr geschmückt.
Die Wüstendschinn bleiben draußen,
die Dschinn des Herzens – auch?
8. Sternenhimmel
Ewig im Jetzt
Funkelnder Sternenhimmel des Südens
mit betörendem Nachtduft:
Ewig im Jetzt.
Von Nachtgeistern umschwirrt:
Jetzt im Ewig.
Wärmender Lichthimmel
mit belebendem Morgentau:
Ewig im Jetzt.
Von Tauben umgurrt.
Jetzt im Ewig.
9. Basar
Gewürzberge in den Basaren
die Luft steht, pulverisiert.
Händler balancieren ihre Lebenslast auf dem Haupt.
Ein frischer Wind wäre gefährlich.
10. Nilschifffahrt
Die Sonne vergrub sich im Sand der Wüstendünen.
Vorübergleiten an Finsternissen,
an Feuern und Ansammlungen künstlichen Lichts,
die auf den Wassern wirr hüpfen und schwimmen.
Am Himmel funkeln die Sterne seit ewig,
schon gesichtet vom Pharao,
stolz spiegeln sich kleine eitle Lichtpunkte.
11. Tempel.
Stein gewordenes Sumpfgebiet.
Schlank ragen kunstvolle Papyrussäulen,
tragen Reste zerbrochenen Himmels.
Götter sind geflohen, verstummt ist das Gebet.
Was Menschen den Göttern schufen – seht!
12. Gräber
Gräber, gefüllt mit Schrift aus alter Zeit,
Stein geschmückt mit buntem Kleid,
von Totengötter preisenden Vätern.
Sie konnten Pharaonen nicht zur Sonne erheben,
steingeworden und bunt verharren ihre Seelen.
13. Bilder
Wer kann sie lesen,
die Zeichen, die Bilder.
Sie durchdringen Gedanken,
durchdringen das Herz,
sie bilden sich selber
in die Unkundigen ein.
14. Hunde-Heer
Anubis, der Schakalgott,
bedrängt tausendfach die Menschen
durch sein bettelndes Hundeheer.
15. Gespaltenes Ägypten
Zwiegespaltenes Ägypten:
Wüste und Wasser,
Grün und Gelb,
Lärm und Stille,
Reichtum und Armut,
Menschenfülle und Leere,
weiße Männer, schwarze Frauen,
Weite und Enge.
Was für eine Weite!
Was für eine Enge!
16. Ägyptenwunsch
Ägypten,
die Falten möchte ich wegwischen
von deiner strengen Stirn.
Ein Lächeln ins Gesicht zaubern,
das den blauen Nil widerspiegelt,
die gelbe Wüste,
die grüne Fruchtbarkeit.
Die Stirn wird strenger,
harte Worte entflammen
den bitteren Mund.
17. Segenszeichen
Das Auge wandert weit
durch das Sandland,
das die Weisheit
vergangener Menschen nicht verrät.
Mit dem Finger zeichne ich
Das Segenszeichen in den Sand,
damit Ägypten Weisheit gebiert
und nicht den ewigen Tod.
18: Blind
Mit blindem Auge
Sieht der Greis
Auf das blaue Wasser hinaus.
Er sieht das Blau der Erinnerung,
das Himmelblau, gespiegelt im Nil.
19. Pause
In der Hitze hat der Arbeiter
ein Ruhepäuschen in sich selbst.
Ganztägig. Täglich.
20. Versteck
Als sie die fremden Blicke bemerkte,
versteckte sie ihr Antlitz verschämt
hinter schwarzem Tuch.
Die Augen blitzten keck.
21. Nussschalen-Kinder
Nussschalenkinder
Beschwingen lachend
Den treibenden Nil.
22. Vergangenheit
Vor den Türen lauert Vergangenheit.
Strenge Fromme möchten sie töten
Die schlanken Idealfiguren,
voller Farbe und Lebendigkeit,
Ausdruck der Phantasie und ruhiger Lebenslust,
bringen Unruhe der starren Seele.
23. Pyramiden
Pyramide – Steinmeer,
mit kleinen Menschenameisen.
Dicke Märtyrertouristen,
krabbeln mit hochroten Köpfen
durch die engen Gänge
dem Tod nah.