Vortrag (Februar 2006):
Stellungnahmen Joseph Kardinal Ratzingers (Papst Benedikt XVI.) zu den Religionen und zum interreligiösen Dialog
Einleitung
Bekanntlich sind wir Papst. Und weil wir Papst sind, müssen wir auch wissen, was wir als Papst denken – heute zum Thema Religionen. Bevor wir zu Joseph Kardinal Ratzinger kommen, ist einiges an Vorwissen notwendig. Kardinal Ratzinger steht in einer langen Tradition, die zu verstehen wichtig ist, wenn man ihn richtig verstehen möchte. So beginnen wir mit den frühen Christen, die die Weichen im Umgang mit den Religionen gestellt haben, gehen weiter über Religionskämpfe, kommen zu Vertretern, die die Religionen vereinheitlichen möchten – um dann die Sichtweise Kardinal Ratzingers vorzustellen.
Voraussetzungen
Die ersten Christen und die Religionen
Wir sind heute nicht die ersten, die über das Verhältnis der Religionen zueinander nachdenken. Sobald das Christentum entstanden ist, kam es in Kontakt mit Religionen. Christen wollten den befreienden Glauben, der von der Liebe Gottes zu den Menschen spricht, nicht für sich behalten. Sie zogen, friedlich verkündigend, in alle Welt. Die ersten Christen waren Juden. Judenchristen haben in der griechisch-römischen Welt missioniert. Christen folgender Generationen kamen aus den verschiedensten Religionen. Schon ca. 10-20 Jahre nach Jesu Tod gab es Gemeinden in Rom. Das Christentum kam früh nach Äthiopien und bis nach Afghanistan. Überall wurden Menschen mit diesen jeweiligen Traditionen im Hintergrund Christen. Christen haben sich von den alten Religionen abgegrenzt, haben von ihnen etwas beibehalten – genauso wie die anderen Religionen.
In der frühen Christenheit wurden die Weichen im Kontakt mit den Religionen gestellt: Gott, der sich in Jesus Christus gezeigt hat, ist der Schöpfer der Welt. Gott ist der Erhalter der Welt und gibt darum den Menschen und der Natur seine Gesetze. Wenn der Mensch diese Gesetze verlässt, dann gibt es Mord und Totschlag. Der Mensch kann Gott in seiner Fülle nicht erkennen, sondern theoretisch höchstens als Schöpfer und Erhalter. Erst in Jesus Christus hat sich Gott in seiner Fülle, in seiner Ganzheit als der gezeigt, der er ist: er ist den Menschen liebend zugewandt, er ist einer, der das Wohl, das Heil der Menschen will, nicht das Gericht, er will ihm nicht Angst machen, sondern ihn befreien. Um dem Menschen das zu ermöglichen, hat er sich nicht gescheut, in Jesus Christus Mensch zu werden, bis zum gewaltsamen Tod. Der Mensch könnte Gott erkennen – aber er kann es letztendlich nicht, weil er aufgrund seines anti-göttlichen Wesens Gott nicht will. Darum muss sich letztendlich Gott selbst den Menschen zeigen.
Von vorneherein war das Verhältnis zu den Religionen spannungsgeladen. Menschen anderer Religionen wollten nicht anerkennen, dass ihre Religion nicht vollwertig sei. Und so kam es schon sehr früh zu Christenverfolgungen, weil Christen nicht bereit waren, den Göttern, seien es Staatsgöttern, Landesgöttern, Familiengöttern, noch anderen Göttern zu opfern. Auch waren Christen nicht bereit, bestimmte Verhaltensweisen, die allgemein üblich waren, mitzumachen, weil Gott andere Verhaltensregeln vorgab. Das machte misstrauisch und führte zu Christenverfolgungen und führt dazu bis heute.[1]
Der christliche Glaube und die Weltreligionen
Das Christentum beeinflusste fast alle der heutigen so genannten Weltreligionen. Der Islam entstand in Abgrenzung zum jüdisch-christlichen Glauben, hat nichts desto trotz Einiges aus der alttestamentlichen Tradition übernommen – und sich im Gegensatz zu vielen neutestamentlichen Aussagen konstituiert – so wird Jesus als einer gezeichnet, der mit den neutestamentlichen Aussagen nicht übereinstimmt[2]; der Buddhismus hat wohl Ansätze aufgenommen, so streiten sich die Gelehrten, ob die beliebte Boddhisattva-Vorstellung unter christlichem Einfluss in Afghanistan entstanden und dann bis nach Ostasien verbreitet worden sei. Ein Boddhisattva ist ein Mensch, der die Erleuchtung hatte, dann aber, statt im Nirvana Vollendung zu finden, wieder auf die Erde zurückkommt, um Menschen Wege zur Erleuchtung zu führen. Schon ab dem zweiten Jahrhundert war das Christentum in Indien, vor allem ab dem 7. Jahrhundert auch in China. Von China aus kam der Buddhismus nach Japan und eine Strömung (Amida-Buddhismus) macht einen sehr christlichen Eindruck.[3] Ebenso die Inkarnationsvorstellungen im Buddhismus, laut der sich die Hindutrinität Dattatreya in Gurus inkarniere. Das bedeutet: Wenn heute ein Dialog der Weltreligionen im Blick steht, muss auch im Blick stehen, dass dieser Dialog schon durch die Jahrhunderte hindurch stattgefunden hat.
Und noch etwas ist zu berücksichtigen: Während der christliche Glaube missionierend die Völker durchdrungen hat, kam mit dem 15. Jahrhundert die Kolonialisierung dieser Länder auf. Da es Länder mit christlicher Vergangenheit waren, die in den Kolonien zum großen Teil grausam und plündernd herrschten, wurde der christliche Glaube mit diesen identifiziert – nicht immer waren die Kirchen daran schuldlos, weil sie sich häufig als ein Arm dieser Mächte darstellten. Darum kam auch der christliche Glaube immer mehr in die Kritik. So wurde z.B. im Hinduismus die Krischnaepisode aus dem alten Epos Mahabharata im 19. Jahrhundert (?) wieder neu belebt, um eine Figur zu haben, die eine Gegenposition zu Jesus Christus einnehmen konnte. Wenn bis heute in manchen Ländern der Kampf gegen das Christentum sehr massiv geführt wird, dann hat das nicht allein darin seinen Grund, dass die jeweiligen Cliquen oder Gruppen keine unabhängigen Menschen neben sich dulden wollen; der Kampf gegen das Christentum hat seine Wurzeln auch in den üblen Erfahrungen, die diese Menschen in der Zeit der Kolonialisierung gemacht haben.
Die Kirchen und die Religionen
Diese genannten neutestamentlich-frühchristlichen Positionen bestimmen auch die gegenwärtigen Kirchen, allerdings mit kleinen Modifikationen. Die Tendenz in den Evangelischen Kirchen geht dahin,
- dass Gott zwar theoretisch anhand der Schöpfung erkannt werden könne, dass das aber letztlich unmöglich sei, Gott selbst müsse sich dem einzelnen Menschen offenbaren, und darum ist Mission notwendig, um Menschen erst einmal zu zeigen, wer Gott wirklich ist[4]
- die andere Seite: Es gilt die Welt im Sinne Jesu zu verbessern, ohne den christlichen Glauben direkt zu bekennen.
- Für die katholische Kirche gibt es Anknüpfungspunkte in der Kultur der jeweiligen Völker, mit deren Hilfe Menschen aus den Völkern Gott selbst erkennen können[5], denn Gott hat das Verlangen in den Menschen gelegt, ihn zu finden[6] – und so kann es auch „heilige Heiden“ geben[7];[8]. Ein Einkapseln der jeweiligen Kultur und ein Abkapseln von anderen Kulturen widersprechen dem, was im Menschen angelegt ist[9]. Das Verlangen nach Gott in den Religionen ist durch Christen in christliche Bahnen zu lenken.
Die unterschiedlichen Positionen der Kirchen mögen minimal erscheinen, haben jedoch große praktische Auswirkungen: Die katholische Kirche ist den anderen Religionen gegenüber offener. Wer evangelischer Christ werden will, der hat
- einen religiösen Bruch mit seiner Vergangenheit hinter sich oder
- er bleibt innerhalb seiner Religion bzw. Tradition, wird aber ein „besserer Mensch“.
- Wer katholischer Christ werden möchte, bricht auch, knüpft jedoch mit seinem Glauben an seine religiöse Vergangenheit an und transformiert diese.
Und so wird, wie Kardinal Ratzinger[10] sagt, nicht die Vielfalt der Völker und Kulturen aufgehoben, sondern durch das Christentum zu „einer Symphonie zueinander geführt“. Entsprechend ist Rom nicht nur das Zentrum der 1-Milliarden römisch katholischer Christen[11], sondern Zentrum aller suchenden Menschen, da sie potentielle Gotteserkenner sind, weil Gott in ihnen die Sehnsucht nach Gott gelegt hat.
Pluralistische Religionstheologen
Mit diesen Aussagen haben wir uns schon wesentliche Aspekte erarbeitet, um zu dem Hintergrund von Kardinal Ratzingers Aussagen zu den Religionen zu kommen. Intensiv formuliert er sie in der Auseinandersetzung mit Pluralistischen Religionstheologen.
Kommunikationstheorien
Diese Theologen sind von der Philosophie bestimmt. Zu nennen ist eine Kombination des Deutschen Idealismus vor allem mit Kommunikationstheorien (Habermas).[12] In der Kommunikationstheorie formulieren Philosophen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit Menschen miteinander reden können, ohne in Streit zu geraten. Dazu ist es notwendig, dass man den anderen als gleichwertig annimmt – und zwar ohne Vorbedingungen. Aspekte der Kommunikationstheorien werden von Pluralistischen Religionstheologen auf den Dialog der Religionen übertragen: Wie können die Religionen miteinander reden, ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt? Dazu gehört zunächst die „religiöse Abrüstung“[13]. Das heißt, man muss davon ausgehen, dass alle Religionen gleiche Berechtigung haben, alle können Heilswege sein und haben – natürlich ist man nicht so blauäugig zu meinen, dass alle Religionen von vorneherein auch gut sind. So werden z.B. die grausamen Kali-Religionsströmungen als nicht kommunikationsorientiert abgelehnt. Aber: Alle Religionen haben die gleiche Berechtigung, keine darf sich über die andere stellen.
Deutscher Idealismus
Vor allem im 18./19. Jahrhundert kam der Gedanke auf, dass Gott keine Person sei, sondern eine Macht, die in den Genies konkret am Wirken ist, sich in ihnen offenbart. Diese Genies können Gott erkennen. Dieser Gott ist eine Kraft, die die Naturgesetze bildet, sie hält die Planeten, sie hält die Jahreszeiten, sie gab Naturgesetze und Tugendgesetze. Diese Gottessicht wurde vor allem im „Deutschen Idealismus“ ausgebildet und bekam Schubkraft durch die Entdeckung des Buddhismus. Das war die moderne Religion der damaligen Zeit. Diese hatte etwas, was das Christentum nicht hatte: Wir sind Gott. Ist Gott eine Macht, dann wirkt sie auch durch die Genies – und dann nicht allein durch die Genies, sondern auch durch mich. Und wirkt sie durch mich, dann kann ich auch meine eigenen Lebensgesetze aufstellen, da es ja die Gottheit in mir ist, die sie aufstellt. Damit war – soweit ich es sehe – auch die philosophische Vorgabe gegeben, die der Nationalsozialismus benötigte: Die Vorsehung, die göttliche Macht in mir, im Führer gibt uns vor, welche Gesetze gut sind, welche nicht. Da braucht man kein Judentum und kein Christentum. Und eines dieser Gesetze ist: Alles unwerte Leben muss ausgelöscht werden. Ich schweife ab.
Da alle Religionen von einem Gott oder von Göttern sprechen, muss man versuchen, sich auf ein Gottesbild zu einigen: Gott ist in den Religionen eine Macht. Wenn man das als Gemeinsamkeit erkannt hat, dann kann man weitergehen: Jede Religion erkennt das Wirken dieser Macht punktuell, also keine Religion kennt diese Macht in ihrer Fülle.[14] Diese philosophische Idee, dass Gott nicht Person, sondern eine Macht sei, führt in der Gegenwart wieder dazu, dass sich Pluralistische Religionstheologen im Grunde dem ursprünglichen Buddhismus näher fühlen als den Religionen, die von Gott als einer Person ausgehen. Sie gehen auch weiter als die Theologen, die ein Gespräch mit dem Islam in den Blick nehmen. Auch im Islam geht man davon aus, dass Allah eine Person ist und nicht allein eine Macht. Von daher fordern diese Theologen den Dialog der Abrahamitischen Religionen, das heißt der Religionen, die sich in irgendeiner Weise auf Abraham berufen: Juden, Christen, Moslems.
Umprägung Jesu Christi
Nun begnügen sich die Pluralistischen Religionstheologen natürlich nicht damit, den christlichen Glauben philosophisch-buddhistisch zu interpretieren. Da steht noch einer dazwischen – und zwar Jesus von Nazaret, Christus genannt. Und dieser Jesus Christus bestimmt christliche Theologie und so auch die Pluralistischen Religionstheologen, die in christlicher Tradition stehen. Was machen sie mit Jesus Christus? Er ist in die große Reihe der Ethiklehrer einzureihen, die der Menschheit Wege gewiesen hat, damit sie friedlich miteinander leben können.
Kritik
Die Pluralistischen Religionstheologen haben darin Recht, dass sie Möglichkeiten ausloten, wie die Religionen miteinander ins Gespräch kommen können, um kommende Kriege zu vermeiden. Auch wenn der ein oder andere aufgeklärte Europäer meint, dass Religionen sowieso bald der Vergessenheit anheim fallen, dass z.B. Regeln internationaler Konzerne bessere Vorgaben für ein friedliches Miteinander geben, als die traditionellen Religionen (wie ein euphorischer Prof. für Wirtschaftswissenschaften in München den hingerissenen Studierenden vortrug), so ist das, wie immer mehr Menschen erkennen, Selbstbetrug. Der Kommunismus versuchte schon die Religionen zurückzudrängen, mit allen Mitteln der Gewalt, die ihm zur Verfügung standen – der Kommunismus ist noch hier und da vorhanden, aber die Religionen sind stärker als zuvor. Das heißt, dass auch der aufgeklärte Mensch damit leben muss, die Religionen zu akzeptieren, auch wenn er sie nicht will. Auch Menschen, die einfach so in den Alltag leben ohne einen Gedanken an Religionen zu verschwenden – auch sie kommen an ihnen nicht vorbei. Und wenn man mit ihnen leben muss, dann müssen Wege gefunden werden, damit Katastrophen vermieden werden. Ein hervorzuhebender Versuch ist derjenige Hans Küngs, der weniger die Religionen vereinheitlichen will, als vielmehr mit Hilfe der Religionen einen „Weltethos“ schaffen möchte. All diese Bemühungen sollten gefördert werden.[15] Freilich werden sie aus der Sicht vieler nicht dadurch gefördert, dass man alle Besonderheiten einebnet. Und vor allem werden sie nicht dadurch gefördert, dass christlich geprägte Begriffe auf andere Religionen übergestülpt werden.
- Gott ist nicht identisch mit dem, was andere Religionen Gott nennen: Buddhisten im strengen Sinne kennen keinen Gott, für Hindus gibt es eine Fülle an Göttern, die magisch zu beeinflussen sind, für den Islam will Allah mit Mohammeds Augen gesehen werden und für Christen zeigt er seine Liebe in Jesus Christus;
- Liebe ist nicht identisch mit dem, was für andere Liebe ist. Liebe ist für das Christentum auf alle bezogen, ob sie glauben oder nicht. Vorbild ist Jesus Christus in seiner unbeschränkten Liebe. Für Hindus ist Liebe Kastenbezogen, für Buddhisten im alten Sinn bedeutet Liebe, andere zur Erleuchtung zu führen.
- Ebenso Glaube: „Glaube“ ist für Christen bestimmt vom Vertrauen in Gottes Liebe, für Juden ist nicht Vertrauen, sondern der Bund relevant; für Hindus ist es wichtiger, die richtigen Regeln zu kennen, mit denen man Göttern begegnen kann; für den Islam gilt statt Glauben Ergebung/Hingebung in Allahs Willen, wie ihn Mohammed gepredigt hat.
So muss man miteinander reden lernen, lernen, was der andere unter ein Wort versteht. Dem Christentum wird Anmaßung vorgeworfen, wenn es daran festhält, dass Jesus Christus allein zu Gott führt. Doch solche „Anmaßungen“ finden wir in allen Religionen, sogar im Buddhismus, vor allem im Tibetanischen und Zen-Buddhismus. Und der Versuch, alle Religionen gleichzuschalten, ist selbst wieder eine neue Religion – und zwar eine unbarmherzige, weil sie jedes Gräslein, das sich von anderen unterscheiden möchte, herauszupft.
Nach diesen notwendigen Vorarbeiten kommen wir zu Joseph Kardinal Ratzinger.
Kardinal Ratzinger[16] und die Religionen
Die Grundlage
Das Kompendium, die Zusammenfassung des Katechismus der katholischen Kirche formuliert prägnant (170): „Welche Verbindung besteht zwischen der Katholischen Kirche und den nichtchristlichen Religionen? Es gibt eine Verbindung, die vor allem auf dem gemeinsamen Ursprung und Ziel des ganzen Menschengeschlechtes beruht. Die Katholische Kirche anerkennt, dass alles, was sich in den anderen Religionen an Gutem und Wahrem findet, von Gott kommt, ein Strahl seiner Wahrheit ist, auf die Annahme des Evangeliums vorbereiten und zur Einheit der Menschen in der Kirche Christi hindrängen kann.“ Und in 171 heißt es: „Zugleich können durch Christus und seine Kirche diejenigen das ewige Heil erlangen, die ohne eigene Schuld das Evangelium Christi und seine Kirche nicht kennen, Gott jedoch aufrichtigen Herzens suchen und sich unter dem Einfluss der Gnade bemühen, seinen durch den Anruf des Gewissens erkannten Willen zu erfüllen.“ Warum habe ich das zitiert? Weil Kardinal Ratzinger als Vorsitzender der Glaubenskongregation einmal den Katechismus wesentlich mitgeprägt hat, den Papst Johannes Paul II. 1992 der Öffentlichkeit übergeben hat, und eben auch das Kompendium, die Kurzfassung des Katechismus. Hierin haben wir das Wesentlichste zusammengefasst vorliegen.
Auseinandersetzung mit den Pluralistischen Religionstheologen: Jesus ist Herr
Kardinal Ratzinger ist philosophisch ungemein gebildet und hat sich auch argumentativ vor allem mit den Pluralistischen Religionstheologen auseinandergesetzt.
Unter seiner Ägide entstand das Dokument: „Dominus Iesus“ (Jesus ist der Herr), das im Jahr 2000 die Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu in Auseinandersetzung mit allen Strömungen, die Jesus Christus relativieren, bekennt. Man hat Gott als Person aus der Welt hinauskatapultiert, indem man nur eine unbestimmte Macht göttlich nennt, und kann darum auch nicht akzeptieren, dass Gott in Jesus Christus Maßstäbe setzt (evtl. zitieren: 64 f.). Gott und Christus zu erkennen, hängt nicht von philosophischen Prämissen ab, sondern davon, mit Jesus Christus zu leben. Und dann erweist er sich als der Einzige.
Dialog und Mission
Ohne den Boden der Tradition werde der Pluralismus bodenlos – hat Kardinal Ratzinger im Kontext von Staatstheorien gesagt[17] – was aber wohl auch für seine Position im Kontext des Dialogs mit den Religionen gilt. Friedensfähigkeit ist nicht mit Wahrheitsverzicht verbunden (a.a.O.). Mission und Dialog sind keine Gegensätze, sondern Mission ist ein dialogischer Vorgang: Dem anderen wird nicht das gänzlich Unbekannte gesagt, sondern die verborgene Tiefe dessen erschlossen, was er in seinem Glauben schon berührt.“ (a.a.O.)[18] Glaube ist Geschenk – somit kann es keinen „geistigen Kolonialismus“ geben, eine „Unterwerfung der anderen unter meine Kultur und meine Ideen.“ (70) Es gibt nur Weitergabe des Geschenkten. Aber, um ein anderes Bild zu gebrauchen: Im Christentum fließen Ströme aller Religionen „zusammen, werden gereinigt und erneuert, aber nicht vernichtet.“ (75) Das Christentum wird dabei nicht statisch gesehen. Wie in allen Religionen der Mensch nach Gott sucht, sucht, ihn immer besser zu verstehen, so auch im Christentum. In Christus liegt allein das Heil – aber Menschen aus allen Religionen, auch aus dem Christentum suchen dieses Heil – und hinter diesem Suchen steht Gott, der auf diese Weise alle „Religionen aufeinander zuführt“[19]. So wendet sich Kardinal Ratzinger auch in seiner ersten Predigt als Papst an die Menschen, die „anderen Religionen folgen, oder einfach eine Antwort suchen auf fundamentale Fragen der Existenz.“[20]
Kardinal Ratzinger wendet sich gegen die so genannten Modernen, Aufgeklärten, Liberalen, die meinen, das Christentum als westliche Religion solle sich nicht in die Belange anderer Religionen einmischen, sie verändern. Gleichzeitig meinen sie aber, sie könnten ganz neutral ihre technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften in die Welten anderer Religionen hineintragen. Doch auch Technik und Wissenschaft sind abhängig von ihrem kulturellen Umfeld, und sie verändern als westliche Errungenschaften die Religionen ebenso. Nur hinterlassen sie – um es mit eigenen Worten zu sagen – Trümmerlandschaften, weil sie keinen Sinn vermitteln und gewachsene Strukturen zerstören. Weiterhin sei es naiv zu meinen, man könne Religionen in die jeweiligen traditionellen Gebiete einschließen: Amerika und Europa als christliche Gebiete, Asien als Buddhistisch-Hinduistisch-Schintoistisch usw. Nordafrika und Teile Asiens als Moslemisch. Menschen, die einander weltweit begegnen, seien Träger ihrer Religion – und damit kommen die Religionen zwangsläufig in Kontakt miteinander.[21]
Glaube und Vernunft
Und damit ist auch eines seiner weiteren Anliegen genannt: Die moderne Trennung von Glauben und Vernunft, die zu einer Überbetonung des Gefühls bzw. der Vernunft führt, muss wieder rückgängig gemacht werden. Geschieht das nicht, werden, wie man in der Gegenwart ja sieht, Religionen von Wellen des Gefühls – auch des gewaltsamen Gefühls hinweggeschwemmt. Auch die Vernunft ist von Gott – und darum muss die Vernunft durch Gott zu sich selbst befreit werden[22]. Wissenschaft und Religion werden eng, erstarren in der Beschäftigung mit ihrem Objekt. Sie können nicht ohne eine von Gott gereinigte Vernunft dem Willen Gottes entsprechen.
Fazit:
Die Auseinandersetzung Joseph Kardinal Ratzingers ist nicht nur Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Christentum zu anderen Religionen. Sie ist immer auch eine Auseinandersetzung mit philosophischen Modellen der Gegenwart, wie sie die Pluralistischen Religionstheologen und andere Philosophien und Popularphilosophien vertreten.[23]
Was Ratzinger zu dem Dialog der Religionen sagt, das ist neu. Alte katholische Position ist, dass in den Religionen Gott schon seine Spuren hinterlassen hat. In allen liegt ein Körnchen seines Heils. Und das ist im Dialog hervorzuheben. Ratzinger geht einen anderen Weg, wenn man so will einen seelsorgerlichen und nicht einen theoretischen. Es geht nicht darum die Spuren Gottes in den Religionen zu suchen, sondern es geht darum, das Individuum aus den anderen Religionen anzusprechen. Gott hat in diesem Individuum die Sehnsucht nach Gott hineingelegt – Christen müssen nun diese Sehnsucht im Umgang mit dem anderen christlich kanalisieren. Es geht also nicht mehr darum, zu sagen: Du hast die falsche Religion, sondern darum: du hast Sehnsucht nach Gemeinschaft mit Gott? Jesus Christus schenkt sie dir. Und von hier aus gesehen ist Dialog immer Mission und Mission immer Dialog.
Mit diesem Hintergrund, können Sie auch seine Botschaft zum Weltfriedenstag am 1.1.2006 „In der Wahrheit liegt der Friede“ verstehen. Ich habe eine Kopiervorlage mitgebracht. Sie ist sehr eindrucksvoll. Abschnitte 6; 10; 11; 13. Und so spricht er auch in seinen Reden Menschen aus anderen Religionen an – weil sie potentiell Suchende sind. Und: Er ist als Stellvertreter Christi das Oberhaupt dieser Suchenden.
[1] Während der SARS-Welle warnte die chinesische Regierung 2003 vor dem „Christentumsfieber“ (Jidujiao-re), im Februar 2005 möchten extremistische Hindus ein Kongress veranstalten: Hindus wacht auf – werft die Christen raus.
[2] Schiiten erwarten einen kommenden Mahdi – s. Islam (14), zu den Sufis s. a.a.O.17. Zitate und Kommentare zum NT im Koran – a.a.O. 15.
[3] 12.–14. Jh. bekam der Kult um Buddha Amithaba (Amida) Zulauf: Menschen sind von der Gnade des Amida abhängig, sie benötigen nur ein reines Herz, unbedingten Glauben und unermüdliche Anrufung des Buddha Amida. Ein Abzweig davon betont seit dem 13. Jh., man solle Magie usw. Magie sein lassen und seinem Beruf nachgehen und Buddha mit seinem Handeln dienen.
[4] Exklusivismus finden wir bei Karl Barth besonders ausgeprägt, der christlichen Glauben von Religion trennt. Glaube ist Geschenk Gottes, Religion ist menschliches Verhalten, das zu Gott zu gelangen sucht. Auch Christentum kann Religion sein, wie andere Religionen, aber das Eigentliche ist der Glaube. Dagegen wendet sich Ratzinger 2004 (3.Aufl.), 42: Glaube ohne Religion sei unrealistisch. Rahner, so Ratzinger, gilt als Vertreter des Inklusivismus: Das Christentum ist in allen Religionen gegenwärtig – diese gingen ihm entgegen. „Sie führen zur Rettung, insofern und weil sie verborgen das Geheimnis Christi in sich tragen.“ (43) Ratzinger wendet sich gegen diese Ansätze, weil Religionen zu pauschal über einen Kamm geschoren werden: „Woher weiß man, dass das Thema Heil allein an den Religionen festzumachen ist? Muß es nicht viel differenzierter vom Ganzen der menschlichen Existenz her angegangen werden …?“ (44).
[5] Kompendium 170
[6] Kompendium 535
[7] 2004 3. Aufl., 167
[8] 2004 3. Aufl., 54
[9] Enzyklika: fides et ratio (1998) 72
[10] 2004 3. Aufl., 67
[11] Christentum (Anhänger: 1.595-2 Milliarden; Anteil an Weltbevölkerung: 33%): Protestanten 337 Millionen, Orthodoxe 214 Millonen, Katholiken 1044 Millionen.
[12] In der Münchener Katholischen Akademie fand Januar 2004 eine Diskussionsveranstaltung zwischen Kardinal Ratzinger und Jürgen Habermas (* 1929 in Düsseldorf, Soziologe und Philosoph, 1983-1994 Prof. für Philosophie in Frankfurt/Main. Vertreter der Frankfurter Schule, mit die Diskursethik entwickelt) statt. Habermas hatte schon Ende der ´80ger einen Sammelband veröffentlicht: „Nachmetaphysisches Denken“. In diesem „rehabilitierte“ er die religiöse Rede, weil diese „unaufgebbare semantische Gehalte“ enthalte. Die Religion sei eine „kognitive Herausforderung“ für die Philosophie und Habermas verlangt von der Philosophie (wie von der Theologie) Lernbereitschaft. Freilich verlangt er auch, dass religiöse Rede in säkulare Rede transformiert werden müsse, da der Staat darauf angewiesen sei. Während für Habermas Wahrheit Ergebnis eines gewaltlosen, gleichberechtigten, aufrichtigen Verfahrens sei, ist für Ratzinger Jesus Christus die Wahrheit. Aber für Habermas ist auch der Diskurs angewiesen auf Motive und Tugenden, die unter anderem aus religiösen Lebensentwürfen stammten.
[13] Ob dazu auch die für die Kommunikationstheorie wichtige „Ehrlichkeit“ gehört und Akzeptanz der Ansätze anderer?
[14] Vertreter: Hick (Presbyterianer), Knitter (Katholik), Schmidt-Leukel (Katholik). Mittelwege: Stubenrauch (QD 158), Dupuis.
[15] 1994 wurde durch das „Amt für interreligiöse Beziehungen“ des Weltkirchenrates und durch den Päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog eine Reflexion über das „interreligiöse Gebet“ veröffentlicht (2004 3.Aufl. 82). In den Folgejahren wurde daran gearbeitet und Erfahrungen wurden ausgetauscht. 1996 Schlusspapier von Bangalore/Indien: Findings of an exploratory consultation on interreligious prayer, (in: s.u.) und 1997 wurde daraus in Bose/Italien ein Dokument erarbeitet: Pontificium Consilium pro dialogo inter religiones. Bulletin 98,1998, 237-243. Unterschieden wird multireligiöses und interreligiöses Gebet. Multireligiös sind die Gebete für den Frieden 1986 und 2002, jeder betet zu seinem Gott, man gibt aber gemeinsam seiner Sehnsucht nach Frieden Ausdruck. Beim interreligiösen Gebet beten die Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeiten miteinander. Ratzinger stellt daran Bedingungen: Man muss sich über das Gottesbild einig sein; der Inhalt muss geklärt sein (christlicher Maßstab ist das Vater-Unser); eine relativistische Missdeutung müsse vermieden werden (88 f.).
[16] * 1927 in Marktl; 1959-1977 Prof. für Fundamentaltheologie und Dogmatik und Dogmengeschichte an verschiedenen Universitäten. Konzilstheologe des Zweiten Vatikanums. Seit 1977 leitete er als Erzbischof das Bistum München/Freising. 1981 von Papst Johannes Paul II. zum Präfekten der Katholischen Glaubenskongregation in Rom ernannt, 1992 zum Kardinalbischof erhoben. Seit 2002 der gewählte Dekan des Kardinalskollegiums = der ranghöchste Kardinal und Organisator der Papstwahl. Seit 2005 Papst Benedikt XVI.
[17] FAZ.net vom 21.4.2005; Nr. 92 S. 33
[18] Thomas Assheuer: Freiheit und Hass. Die Fremdheit zwischen Islam und Westen trügt. Sie verstehen sich nur allzu gut. Deshalb streiten sie um die Zukunft, in: DIE ZEIT 8 vom 16.2.2006, 47: „Kein Andersgläubiger soll (sc. durch die liberale Gesellschaft) bekehrt und keine Seele soll missioniert werden. Irgendwann wird sich zeigen, was die größere Faszinationskraft abstrahlt …“.
[19] 2004 3.Aufl., 44 f.
[20] Wiener Zeitung vom 20.4.2005
[21] 2004 3.Aufl. 62 f.
[22] 2004 3. Aufl. 125 f.
[23] Hinweis zum neusten Geschehen: Nach der Ermordung des Priesters Andrea Santoro in der Türkei durch einen 16jährigen, vermied es der Papst am 8.2. von einem Märtyrer zu sprechen und würdigte dessen Eintreten für den Dialog mit den Muslimen.