Von seiner Fülle haben wir genommen Gnade um Gnade. (Johannesevangelium 1,16)

Wir Glaubenden machen uns selten Gedanken darüber, was Jesus Christus uns wirklich bedeutet. Und wenn wir uns Gedanken darüber machen, sind wir schnell fertig, weil uns eher Allgemeinplätze einfallen. Aber der Evangelist sprudelt über! Was meint er? Im weiteren Vers stellt er der Gnade das Gesetz gegenüber. Das Gesetz bedeutet: Wir müssen Gottes Willen tun. Gnade bedeutet etwas ganz anderes! Gnade bedeutet, Jesus Christus hat uns aus der Fülle seiner Liebe, aus der Fülle seiner Herrlichkeit, aus der Fülle seiner Gottheit alles geschenkt! Und weil wir so sehr beschenkt wurden, handeln wir aus dieser Liebe, aus dieser Herrlichkeit, aus dieser Gottzugehörigkeit, also Heiligkeit, heraus. Wir können es von ihm nehmen! Wenn wir Liebe, Herrlichkeit, Heiligkeit nicht aus seiner Hand nehmen, dann können wir auch nicht aus diesen leben. Wir sind wie Pflanzen, die neben einen bis zum Rand gefüllten Wasserbottich gepflanzt wurden aber in der Dürre des Lebens verdorren. Glaubende, so sagt der Evangelist, haben aus seiner Fülle genommen Gnade um Gnade.  

Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur geworden; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. (2. Korinther)

Wenn ich mich so ansehe, dann frage ich mich: Ich gehöre zwar Jesus Christus – aber bin ich eine neue Kreatur, ein neues Geschöpf? Ist das Alte wirklich vergangen, oder bin ich noch immer der Typ, der ich schon immer war? Ist wirklich Neues aus mir, in mir geworden? Ich bin in mir zerrissen, manchmal unwirsch zu anderen, lieblos, missmutig, unkontrollierte Worte kommen aus mir heraus und dumme Gedanken kreisen in mir.

Doch sollen wir uns das nicht selbst fragen. Fragen wir doch einmal Jesus Christus: Lieber Jesus, bin ich eine neue Kreatur? Ist das Alte wirklich vergangen? Bin ich nicht noch immer der Typ, der ich schon immer war? Ist wirklich Neues aus mir geworden? Ich bin in mir zerrissen, manchmal unwirsch und lieblos, unkontrollierte, missmutige Worte kommen aus mir heraus, dumme Gedanken kreisen in meinem Hirn.

Und? Was wird Jesus Christus antworten? Ich höre ihn sprechen: Mein liebes Kind, lass das mal meine Sorge sein. Ich habe dich neu gemacht – sei mein Kind, das versucht, meinen Willen zu tun, alles andere überlass mir. Und was bleibt uns zu sagen? Danke!

Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt gewaltig. Jesaja)

Gewaltig? Unter gewaltig verstehen wir etwas anderes. Unter gewaltig verstehen wir: allen sichtbar, keiner kann sich dem entziehen, wir verstehen einen Herrscher, der alle unterwirft und von allen Ehre und Gehorsam verlangt.

Und wie kam Jesus von Nazareth? Wie kam der Christus, der Messias, der König Gottes? Er kam ganz anders. Gewaltig bedeutet in dem Zusammenhang mit Jesus: Er lässt sich nicht unterkriegen. Trotz des Widerspruchs macht er weiter. Trotz seiner Verwerfung durch Menschen ist er freundlich und vergebend. Obwohl wir ihn ablehnen, geht er immer wieder auf uns zu. Gewaltig bedeutet: Er geht seinen Weg durch die Menschheitsgeschichte so, wie er es für richtig hält. Ohne uns – oder, wie er es lieber hätte: mit uns.  

Jesus sagt seinen Jüngern: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. (Lukas 18,31)

Jesus geht hinauf nach Jerusalem. Er kündigt es seinen Jüngern an. Hinauf gehen nach Jerusalem – das ist seit alters ein freudiges Ereignis. Hingehen zum Tempel Gottes. Singend machten sich Menschen seit Jahrhunderten auf den Weg: Auf nach Jerusalem!

Wenn nun Jesus sagt: Es wird vollendet werden, was die Propheten verkündigt haben – dann heißt das für die Jünger: Gott wird sich zu erkennen geben. Gott wird seine Herrschaft aufrichten. Mächtig und gewalttätig wird Gott kommen. Gott wird abwischen alle Tränen.

Jesus meint das auch – aber in einem anderen Sinn: Durch das Leiden hindurch, durch Kreuzigung und Zweifel hindurch, wird Gott seine Macht zeigen: Er wird den Tod besiegen. Auferstehung, ewiges Leben bei Gott, das wird sein. Das erwartet uns Menschen – durch das Leiden hindurch. Gott wird seine Herrschaft aufrichten – aber anders als wir naiven Menschen es uns so vorstellen können: nicht durch himmlische Heerscharen an Kämpfern, nicht durch menschliche Waffen – Gott wird anders wirken: Er wirkt durch Glaube, Hoffnung, Liebe. Und er wirkt.