Jesus war sehr realistisch.
Er wusste: Die Not der Menschen übersteigt sein menschliches Dasein. Er wusste aber noch etwas: Seine Aufgabe bestand nicht allein darin, die Menschen körperlich zu heilen, sondern sie bestand auch darin, seelisch zu heilen. Sie bestand darin, sie durch seine Botschaft von Gottes Reich, der Nähe Gottes aufzurichten, Hoffnungskörnchen in die Herzen und Gedanken zu pflanzen und Liebe.
Das war seine eigentliche Aufgabe – und diese Aufgabe vollbrachte er nicht auf eigene Vollmacht hin – sondern er zog sich immer wieder zurück zum Gebet. Diese kleine Notiz zeigt, dass Jesus im Einklang mit seinem himmlischen Vater lebte und handelte.
Im Einklang mit dem himmlischen Vater entzog er sich den Kranken, die in Kapernaum all ihre Hoffnungen auf ihn setzten – und er zog weiter. Und die Kranken?
Sie zogen hinter ihm her. Eine unendlich lange Schlange folgte Jesus. Immerzu auf seinen Spuren suchten sie ihn, rutschten auf dem Boden, humpelten, fielen blind immer wieder auf den unebenen Wegen hin, eine endlos lange Schlange des Leids folgt Jesus seit er auf der Erde lebte, folgt und folgt ihm.
Und Jesus? Manche heilt er, weil sie auf seinem Weg gerade da sind, doch die vielen, vielen nicht Geheilten suchen ihn. Und auf ihrem Weg hinter Jesus her, finden manche der Notleidenden Freunde. Sie helfen sich gegenseitig. Der Blinde wird vom Lahmenden geführt, der Gelähmte wird vom Starken getragen, auch andere Menschen treffen ein, die allein Jesus sehen und hören wollen, auch sie erbarmen sich über die Menschenmenge und lernen Liebe zu üben.
Auf dem Weg hinter Jesus her lernen sie teilen, nicht nur Leid und Schmerz, Freude und Lachen, sondern auch ihr Brot, ihr Geld. Manche Menschen geben auf diesem schweren Weg auf – aber manche geben nicht auf und darum wird ihr Herz verändert, ihre Gesinnung wird neu: Auf dem Weg hinter Jesus her wächst ihre Liebe zu den anderen Menschen, den Not Leidenden, wächst ihre Offenheit, ihre Hilfsbereitschaft.
Menschen, die sie vorher verachtet haben, wachsen ihnen ans Herz, Menschen, die sie vorher überhaupt nicht wahrgenommen haben, kommen ihnen ganz nahe. Und sie tun Dinge, die sie sich vorher nie zugetraut haben: Sie können pflegen, sie können gute Worte sagen, sie können warmherzig schauen und zuhören, ihre Hände entwickeln Segenskräfte – auf dem Weg, dem langen Zug der Notleidenden hinter Jesus her geschehen Wunder über Wunder, weil sich die Herzen der Menschen verändern.
Jesus ist weg. Doch an seiner Stelle treten Menschen, die nicht das tun können, was Jesus tat, aber sie können etwas, das sehr, sehr wichtig ist: sie lernen, liebender Mensch zu sein. Sie lernen, für andere da zu sein, empfindsam zu werden nicht nur für die eigenen Nöte, sondern für die Nöte anderer.