Ich habe das Buch von Harriet Beecher Stowe: Onkel Toms Hütte gelesen. Im Internet sah ich dann, dass es neben Heidi und anderen Kinderbüchern zu den beliebtesten Kinderbüchern gehören soll. Da frage ich mich: Kinderbuch? Ich meine, ich hätte das schon einmal als Jugendlicher gelesen – aber ob ich damals irgendwas verstanden habe? Erinnern kann ich mich nicht mehr. Kinderbuch? Wirklich? Die Schilderungen der Sklaverei, die brutalem Auswüchse, die Versuche tapferer Menschen, der Unmenschlichkeit etwas entgegenzustellen – und zwar den christlichen Glauben?

Ich muss sagen, trotz aller Kritik an dem Werk: Es ist beeindruckend. Aus den verschiedensten Perspektiven werden Menschen dargestellt, die mit der Sklaverei zu tun haben. Gottlose, die zuschlagen und Gewalt als Mittel sehen. Äußerst brutale egoistische Kirchgänger, die ihre Sklaven scheuchen und kein Herz für sie haben, Spötter, die ein Herz für Sklaven haben, aber halbherzig die Sklaverei unterstützen, Christen, die entlaufenen Sklaven freundlich helfen und den gefährlichen Weg in die Freiheit mit ihnen gehen. Daneben die unterschiedlichsten Verhaltensweisen von Sklaven: Die, die einfach klaglos arbeiten, diejenigen, die Freiheit suchen, aber auch die, die ihre Mitsklaven äußerst grausam unterdrücken und die, die kriecherisch und devot sind… Sie schildert ganz massiv die Gefühle der Erniedrigten – und das scheint manchen ein zu gefühliges Buch zu sein. Aber das muss man aus der damaligen Zeit heraus lesen, in der viele dachten, Sklaven seien keine richtigen Menschen, sie hätten kein Gefühl, keine Seele. Dagegen kämpft das Buch an. Es versucht Gefühle für die fühlenden Menschen hervorzurufen. Ein Gefühlsspiegel sozusagen.

Und dann ist da Onkel Tom. Irgendwo, irgendwann hatte ich einmal gelesen, dass die Figur des Onkel Tom massiv kritisiert und auch lächerlich gemacht wird. Tom ist Sklave. Er ist ein Mann des Glaubens, der in all diesen Grausamkeiten seinen Glauben tapfer lebt. Er ist ein Musterbeispiel für das, was Jesus an Feindesliebe lehrt. Er wird erniedrigt, gehasst, geschlagen – aber er unterläuft das Ganze mit Freundlichkeit, mit Glauben, mit Vergebung.

Wie devot ist das denn!? Unterwürfig und entmenschlicht! Mögen all die hitzköpfigen und coolen Menschen im gemütlichen Deutschland denken, die das Buch in ihrer warmen Stube lesen – und wahrscheinlich aufgrund ihrer Begrenztheit nicht verstehen – und sich sagen: Er muss zurückschlagen! Er muss gegen die Bestialitäten ankämpfen! Vielleicht sollten diese Gegenwarts-Beschränkten bedenken: Er ist allein. Und allein kann er nichts ausrichten. Dann sollte er eben Revolutionen anzetteln! Und wie, liebe in warmen Zimmern Sitzende? Er, der Mann, der mühsam lesen lernt, es sich selbst mühsam beigebracht hat mit Hilfe eines kleinen Mädchens, das selbst gerade lesen lernte? Zudem: Die Autorin schildert Realitäten, lehnt sich an reale Personen an – und es gab keine Realität, die eine Revolution zuwege gebracht hatte. Es gab viele Aufstände, die allesamt blutig endeten.

Tom verändert dadurch, dass er auf diese Weise seinen Glauben lebt, Menschen. Und darin ist er den Kämpfern Gandhi wie Martin Luther King vorangegangen. Man muss die Gewalt und die Gewalttäter unterlaufen. Anders als diese hatte er aber keine Chance, viele Menschen auf diesem Weg mitzunehmen, um dann die strukturelle Gewalt zu bekämpfen. Er lebte in seiner Autorin 100 Jahre vorher, er lebte in einer ganz anderen Zeit und Situation.  

Und dann das Spannende: Das Buch von Harriet Beecher Stowe ist so ein friedfertiges Buch. Es hat die Herzen der Menschen aufgerüttelt. So sehr, dass Lincoln laut (angezweifelter) Erinnerung der Familie gesagt hat: Sie sind also die kleine Frau, deren Buch diesen großen Krieg verursacht hat? (Angesprochen ist der Kampf der Nordstaaten der USA gegen die Südstaaten, die von Sklavenhaltern dominiert waren.) Auch wenn das Buch natürlich nicht den Kampf hervorrief, so hat es doch durch die große Auflage und Verbreitung die Menschen gegen die Sklaverei eingenommen. (Mit anderen Büchern zusammen.)

Es gab, in der Zeit, als sie das Buch geschrieben hat, massive Angriffe gegen Abolitionisten. Es war also schon mutig, mit so einem Buch Stellung bezogen zu haben. Das es nicht unbedingt Sympathien hervorrief ist klar.

Sie nennt ja im Buch selbst „den angeborenen Widerwillen des Schlechten gegen das Gute!“