Es gibt Ambivalenzen in den Religionen. Soweit ich aber sehe, ist das Christentum besonders ambivalent.

  1. Es unterstützt Herrschaft – untergräbt sie auch gleichzeitig – und umgekehrt.
  2. Es stabilisiert eine Gesellschaft – bringt gleichzeitig Unruhe – und umgekehrt.
  3. Es bietet Selbstverwirklichung an – gleichzeitig weist es auf Unterordnung unter die Gemeinschaft – und umgekehrt.
  4. Es stärkt die Identität – gleichzeitig verunsichert es – und umgekehrt.
  5. Es betont den Menschen – stellt ihn auch gleichzeitig immer in Frage – und umgekehrt.
  6. Es hilft Krisen zu bewältigen – gleichzeitig führt es in Krisen – und umgekehrt.
  7. Es fordert auf zum Handeln – aber gleichzeitig auch immer zum Innehalten – und umgekehrt.
  8. Es liefert Normen – aber gleichzeitig auch die Freiheit von den Normen – und umgekehrt.
  9. Es weist auf Gott – gleichzeitig auf den Menschen, weil Gott Mensch wurde – und umgekehrt.
  10. Es weist in die Tradition – gleichzeitig in die Zukunft – und umgekehrt.

Ich muss sagen: Diese Ambivalenz ist es, die mir besonders gut gefällt. Sie ist eine ständige Herausforderung, sie bringt Spannungen in die Christenheit, Diskussionen, harte Auseinandersetzungen. All das ist in der Bibel – bzw. auch im Neuen Testament schon angelegt, man beachte, dass es vier Evangelien gibt, dass es neben den Evangelien auch den Apostel Paulus gibt und neben diesen wiederum die Apokalypse. So bleibt unser Glaube und unsere Gemeinschaft immer lebendig.

Das sollten wir als Bereicherung ansehen. Nicht als Last. Wenn wir es als Bereicherung ansehen, können wir einander auch trotz Differenzen als Schwestern und Brüder in Jesus Christus respektieren.